Feindbild Islam

 

Mit blindem Aktionismus soll offensichtlich weitere Terrorhysterie genährt werden. Vor diesem Hintergrund werden weitere Eingriffe in die Grundrechte geplant

 

Ein zufällig aufgeschnappter Gesprächsfetzen mit dem Namen Allah reichte aus, um Ende August die Hansestadt Hamburg in den Ausnahmezustand zu versetzen. 1000 Polizisten kontrollierten den ganzen Tag ausländisch aussehende Personen, bis am Abend drei Tschetschenen festgenommen wurden, denen keinerlei gesetzeswidrige Absichten nachzuweisen waren. Der Fall ist symptomatisch für eine seit den Anschlägen vom 11. September 2001 stetig wachsende Terrorhysterie. Schon die Herkunft aus einem islamischen Land rechtfertigt einen Generalverdacht.

 

Das Feindbild Islam dient Innenpolitikern wie Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) und Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) nicht nur zur Stimmungsmache im Wahlkampf sondern auch zu einem weiteren Abbau demokratischer Grundrechte.

 

„Ein Anschlag in Deutschland kommt sicher“, verkündete Beckstein mit prophetischer Gewißheit zuletzt Ende August bei der Vorstellung des Halbjahresberichts des bayerischen Verfassungsschutzes. Im Schattenkabinett von Angela Merkel ist der bayerische Hardliner für das Innenressort vorgesehen.

 

Insbesondere das Januar 2005 in Kraft getretene Zuwanderungsgesetz wird als repressives Instrumentarium gegen Migranten eingesetzt. Als Richtlinie gilt: „Ein Ausländer kann ausgewiesen werden, wenn sein Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik beeinträchtigt.“ Nicht  mehr der Nachweis einer konkreten Straftat ist für einen Ausweisungsbescheid des Gerichts erforderlich, sondern Verdachtsmomente durch den Verfassungsschutz oder andere Behörden. Die Mitgliedschaft in einem als extremistisch eingestuften Verein, der regelmäßige Besuch einer als radikal geltenden Moschee oder die Teilnahme an bestimmten Veranstaltungen reicht schon aus. Während das deutsche Strafrecht erst bei Verhärtung des Verdachts eine Anklageerhebung zuläßt, reicht beim Einwanderungsgesetz schon eine bloße „Gefahrenprognose“. Der Rechtsweg dazu wurde auf eine Instanz vor dem Bundesverwaltungsgericht gekürzt.

 

Als Wegbereiter kann der Fall des sogenannten Kalifen von Köln Metin Kaplan gelten. Als „Haßprediger“ eingestuft, wurde der Führer des verbotenen Kalifatstaates im Oktober 2004 an die Türkei ausgeliefert. Nach unter Folter erpreßten Zeugenaussagen wurde er dort wegen der angeblichen Planung eines Anschlags gesucht. Obwohl der Rechtsweg in Deutschland noch nicht ausgeschöpft war und Kaplan in der Türkei Folter drohte, erfolgte die Auslieferung. Selbst wenn Kaplan letztinstanzlich vor einem deutschen Gericht Recht bekäme, würden die Türken ihn wohl nicht wieder gehen lassen, kommentierte Bundesinnenminister Schily zynisch. „Es muß befürchtet werden, daß der „Fall Kaplan“ das Einfallstor ist für weitere Ausweisungen von politisch Verfolgten in die Türkei“, warnte damals eine Sprecherin des Rechtshilfefonds für Kurdinnen und Kurden Azadi. „Der Druck des Bundesinnenministeriums auf das Bundesamt für Migration, Abschiebehindernisse wie drohende Folter nicht mehr anzuerkennen, wird zunehmen.“ Doch da der Islamist Kaplan alles andere als ein Sympathieträger ist, schwiegen weite Teile der Linken und Liberalen zu diesem offensichtlichen Rechtsbruch der Bundesregierung.

 

Bereits im Oktober 2004 hat die Bayerische Staatsregierung die Arbeitsgruppe BIRGIT aus Spezialisten des Verfassungsschutzes, der Ausländerbehörden und der Polizei gebildet. BIRGIT steht für „Beschleunigte Identifizierung und Rückführung von Gefährdern aus dem Bereich des islamistischen Terrorismus und Extremismus“. Es seien bereits 19 „Extremisten“ aus Bayern abgeschoben oder zur Ausreise gezwungen worden, erklärte Beckstein Anfang September auf einer Tagung der Unionsinnenminister.  Dort wo eine Abschiebung aus rechtlichen Gründen nicht möglich sei, werde der Bewegung- und Handlungsspielraum der „Gefährder“ entscheidend eingeschränkt. Im Einklang mit gleichlautenden Forderungen von Bundesinnenminister Schily fordert Beckstein die Einführung der als Sicherheitsgewahrsam umschriebenen Schutzhaft für „Top-Gefährder“, die aus rechtlichen Gründen nicht abgeschoben werden können. Als Maßnahmen einer unionsgeführten Bundesregierung kündigte Beckstein unter anderem die Schaffung eines gemeinsamen Anti-Terror-Zentrums und einer bislang aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht möglichen Anti-Terror-Datei des Bundes und der Länder, den Einsatz der Bundeswehr zur Verhinderung von Terror-Anschlägen im Inland sowie den verstärkten Einsatz von Videoüberwachung und DNA-Analyse an. In Moscheen sollten verstärkt V-Leute eingesetzt werden. „Wir müssen von jeder Moschee wissen, ob dort ein fundmentalistischer Islam gepredigt wird“, so Beckstein.

 

Mit blindem Aktionismus soll offensichtlich weitere Terrorhysterie genährt werden, vor deren Hintergrund weitere Eingriffe in die Grundrechte bis hin zu polizeistaatlichen Maßnahmen durchgesetzt werden.

 

Regelmäßig präsentieren Polizei und Innenpolitiker Razzien in Moscheen und Privatwohnungen als großen Schlag gegen den „islamistischen Terrorismus und Extremismus“. Bei näherer Betrachtung sind die Ergebnisse ausgesprochen mager. So lautete die Begründung zur Durchsuchung von bundesweit 30 Büros, Wohnungen und Moscheen im April 2005 nicht etwa auf „Unterstützung einer terroristischen Vereinigung“ sondern lediglich „Verdacht auf Steuerhinterziehung und Geldwäsche“. Die Tatverdächtigen waren schnell wieder in Freiheit und gefunden wurden vor allem CDs mit religiösem Inhalt. Dabei habe es sich um „Ansprachen bekannter (Haß-)Prediger und (einschlägig interpretierbare) Auszüge des Koran“ gehandelt“. Die Klammersetzung im Polizeibericht zeigt, daß offensichtlich auch die Polizei um den weiten Interpretationsspielraum des Begriffs Haßpredigt weiß.

 

Jüngstes Opfer von Becksteins Aktionismus wurde die Deutsch-Islamische Schule in München-Freimann. Seit 1981 werden hier Schüler in deutsch und arabisch nach dem bayerischen Grundschullehrplan unterrichtet. Auch der Staatsregierung galt die Schule mit momentan 100 Schülern bislang als multikulturelles Vorzeigeprojekt und Beispiel gelungener Integration. Anfang August erfuhren die Betreiber der Schule erst aus den Medien, daß die staatliche Förderung gestrichen und die Schule zum kommenden Schuljahr auf Weisung der Regierung von Oberbayern geschlossen würde. Nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes sei das Deutsch-Islamische Bildungswerk (DIBW)  als Träger der Schule ein Tarnverein der Islamischen Gemeinschaft in Deutschland, die wiederum als deutsche Zentrale der ägyptischen Muslimbruderschaft gilt. „Die Verfassungstreue dieses Schulträgers kann nicht mehr als gegeben angesehen werden“, erklärte Thomas Huber als Sprecher der zuständigen Regierung von Oberbayern, ohne konkrete Beweise für eine mögliche Verhetzung der Kinder vorzulegen. Tatsächlich hatte das DIBW 2003 sogar auf Empfehlung der Regierung von Oberbayern die Trägerschaft der Schule übernommen.  Der Entzug der Genehmigung sei „ein trauriger Beleg dafür, wie auf dem Rücken von Minderheiten, hier erneut der Muslime, Wahlkampf gemacht wird“, beklagt sich das Deutsch-Islamische Bildungswerk.

 

Weil er ausländisch aussah und einen Rucksack trug, mußte der brasilianische Elektriker Jean Charles de Menezes in London sterben. Vor dem Hintergrund der Terrorhysterie nach den Anschlägen von London wurde er von Scottland-Yard-Beamten regelrecht hingerichtet. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann es auch in Deutschland zu einer solchen Tötung auf Verdacht kommt. Es gab bereits Präzedenzfälle. Vor dem Hintergrund einer massiven Medienhetze gegen „Terrorkurden“ erschoß im Juni 1994 eine Polizeistreife in Hannover den 16-jährigen Kurden Halim Dener beim Kleben von PKK-Plakaten. 

 

Nick Brauns

 

Der Beitrag wurde in der junge Welt Beilage „Antirepression“ vom 7. September 2005 in gekürzter Form veröffentlicht