Deutschland als Hinterland für türkische Hizbullah-Konterguerilla

Blutspur nach Deutschland

Nick Brauns

Wenige Hundert Meter nach dem Verlassen des Polizeipräsidiums von Amed (Diyarbakır) wurde Polizeichef Gaffar Okkan am 24. Januar 2001 auf dem Sezai-Karakoç-Boulevard im Bezirk Şehitlik bei einem Überfall auf seinen Dienstwagen umgebracht. Mit Okkan starben fünf weitere Polizeibeamte. 460 Schüsse aus Kalaschnikow-Schnellfeuergewehren hatten die 20 Attentäter, die sich zuvor offenbar in einer Moschee verborgen hatten, abgegeben. Okkan, der auch Präsident des beliebten Fußballvereins Diyarbakır Spor war, wurde von der Bevölkerung von Amed (Diyarbakır) geschätzt, weil er die Aktivitäten des Geheimdienstes der Militärpolizei JITEM zurückgedrängt hatte, sodass Verschleppungen und Folterungen von Oppositionellen oder ihre Ermordung auf offener Straße massiv zurückgingen.
Ein Dorn im Auge war Okkan dadurch jenen dunklen Kräften des „tiefen Staates“, die während des Spezialkrieges in den 90er Jahren für Tausende Morde an kurdischen Zivilisten verantwortlich waren und nun während des von der Arbeiterpartei Kurdistans PKK verfügten Waffenstillstands um ihren Einfluss fürchteten. Der damalige Innenminister Sadettin Tantan beschuldigte kurz nach der Tat die türkische Hizbullah (im Folgenden TH). Diese in den 80er Jahren im Umfeld von islamischen Buchläden in Amed (Diyarbakır) entstandene sunnitische Organisation, die keine Verbindung zur gleichnamigen schiitischen Widerstandspartei im Libanon hat, bildete während der 90er Jahre einen integralen Bestandteil der türkischen Konterguerilla. Sie wurde vom türkischen Staat systematisch als Gegengewicht zur Arbeiterpartei Kurdistans PKK gefördert. [s. a. KR 154, S. 10 ff.] Mit blankem Terror gingen ihre Todesschwadronen in kurdischen Städten wie Amed (Diyarbakır), Êlih (Batman), Farqîn (Silvan), Nisêbîn (Nusaybin), Qoser (Kızıltepe), Midyad (Midyat), Ergani, Mazıdağ, Dêrika Çiyayê Mazî (Derik), Hezex (İdil) und Çewlik (Bingöl), in denen die Massenaktionen der PKK besonders weit entwickelt waren, gegen die zivilen Aktivisten der Befreiungsbewegung, aber auch gegen Anhänger gemäßigter islamischer Strömungen vor. Vermutlich gingen Tausende dieser Morde „unbekannter Täter“ auf das Konto der Hizbullah-Killerkommandos, die unter dem wachsamen Blick und dem Schutz des Staates agieren konnten. Ermordet wurden so unter anderem der Abgeordnete der prokurdischen Demokratiepartei DEP, Mehmet Sincar, die Korrespondenten der Zeitung Özgür Ülke, Cengiz Altun und Hüseyin Deniz, der Vertreter des Menschenrechtsvereins IHD aus Êlih (Batman), Sıddık Tan, der Geistliche Sıddık Turhallı in Amed (Diyarbakır) sowie die islamische Feministin Konca Kuris. Auffällig bei den Aktionen der Hizbullah war, dass sie sich niemals gegen staatliche Einrichtungen gerichtet hatten und in der Regel tagsüber – oft in Anwesenheit der staatlichen Sicherheitskräfte – stattfanden. Doch zunehmend geriet die Hizbullah in der zweiten Hälfte der 90er Jahre außer Kontrolle des Staatsapparates. Ihr Terror richtete sich nun auch gegen islamische Geschäftsleute, die entführt und erst gegen hohes Lösegeld wieder freigelassen oder ermordet wurden. In den Kellern einiger von der Hizbullah genutzter Gebäude fand die Polizei später Massengräber mit den Leichen grausam ermordeter Opfer, deren Folter zuvor auf Videobändern dokumentiert worden war. Nach der Verschleppung des PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan aus Kenia auf die Gefängnisinsel Imralı am 15. Februar 1999 und der Verkündung eines langandauernden Waffenstillstands der Guerilla wurde die Hizbullah nicht mehr als Gegenkraft benötigt. Sie galt nun vielmehr als Gefahr für die nationale Sicherheit. Ab März 1999 startete die türkische Polizei mehrere großangelegte Operationen zur Zerschlagung der Terror­organisation. Bei einem Feuergefecht mit der Polizei wurde am 17. Januar 2000 in Istanbul der Gründer der Hizbullah, Hüseyin Velioğlu, getötet. Insgesamt wurden zwischen 1999 und 2002 mehr als 5 000 Personen unter dem Verdacht inhaftiert, Mitglieder der Hizbullah zu sein. Zudem wurden Listen mit den Namen von 20 000 Sympathisanten der Organisation entdeckt.

Mordbefehl aus Deutschland?


„Nach dem Attentat auf Polizeipräsidenten: Kam der Mordbefehl aus Deutschland?“, titelte der Berliner „Tagesspiegel“ nach dem Anschlag auf Okkan und nannte den Nachfolger Velioğlus, İsa Altsoy, als Hintermann des Anschlages. „Der 40-jährige Altsoy soll nach diesen Informationen vor etwa einem Jahr mit falschem Pass in die Bundesrepublik eingereist sein, wo er bis heute vermutet wird. Bereits im Februar 2000 soll er von Deutschland aus einen Befehl gegeben haben, mit Anschlägen auf die türkische Polizei Rache für die Erschießung Velioğlus und die Festnahme hunderter Hisbollah-Mitglieder zu nehmen.“1 Am 21. April 2009 wurde der mutmaßliche Türkei-Chef der Hizbullah, Beşir Varol, von der 6. Großen Strafkammer in Amed (Diyarbakır) wegen Anstiftung zur Tötung von Okkan zu einer Haftstrafe von 18 Jahren und 9 Monaten verurteilt.
Welche Rolle Hizbullah-Führer Altsoy bei dem Attentat auf den Polizeipräsidenten gespielt hat, konnte nicht geklärt werden. Denn Altsoy hatte sich im Jahr 2000 mit Hilfe eines falschen iranischen Passes auf den Namen Mohammad Javad dem Zugriff der türkischen Polizei durch Flucht ins Ausland entzogen.2 „Unter seiner Führung rekrutiert die Hizbullah seine Mitglieder auch in der kurdischen Diaspora, veröffentlicht Bücher und Magazine und verfügt in Diyarbakir … über eigene Buchhandlungen“, schrieb Amalia van Gent in der NZZ.3 Altsoy gilt auch als Verfasser des 2004 unter dem Pseudonym Isa Bagadi veröffentlichten Buches „Kendi Dilinden Hizbullah ve Mücadele Tarihinden Önemli Kesitler“ (Hizbullah in eigenen Worten und ein wichtiger Querschnitt Geschichte des Kampfes).
Im Dezember 2007 wurde Altsoy aufgrund eines türkischen Interpol-Haftbefehls beim Grenzübertritt von Deutschland in die Schweiz verhaftet, doch später wieder freigelassen. Auch in 12 weiteren Fällen hatten türkische Justizbehörden nach Auskunft der Bundesregierung seit 2003 die Auslieferung von in Deutschland lebenden mutmaßlichen Hizbullah-Aktivisten verlangt. Nur in einem Fall erfolgte tatsächlich die Überstellung der gesuchten Person in die Türkei. In den anderen Fällen lehnten die zuständigen Gerichte oder Justizbehörden eine Auslieferung aufgrund mangelnder beiderseitiger Strafbarkeit, Asyl- und Auslieferungsschutz sowie der Nichterfüllung formeller Voraussetzungen ab.4
Die vorübergehende Verhaftung Altsoys war ein weiterer Beleg für die Vermutung, dass Deutschland ein Rückzugsraum für Hizbullah-Aktivisten aus der Türkei ist, die sich der vorübergehenden Verfolgung ihrer Organisation entzogen hatten, um von hier aus auch die Neuorganisation der Bewegung in der Türkei zu koordinieren. So warnte der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen im Jahr 2005, dass Anhänger der Hizbullah „vor dem Fahndungsdruck der türkischen Behörden in verstärktem Maße nach Europa und dabei auch nach Deutschland ausgewichen“ seien.5 Und der Bremer Verfassungsschutz meldete im Jahr 2010 : „Seit der Zerschlagung in der Türkei bemühen sich die in Europa lebenden Anhänger um einen Wiederaufbau der Organisation im Heimatland. Zunehmend betreiben die Anhänger der Organisation dafür u. a. in Deutschland Öffentlichkeitsarbeit mittels Publikationen.“6 So seien die der TH zuzurechnenden Zeitschriften „Inzar“ (Warnung) und „Doğru Haber“ (Richtige Nachricht) in Bremen verbreitet worden, in denen auch offen antisemitisch agitiert wird. „Fakt ist, der Tag wird kommen, an dem die Muslime die Juden besiegen werden, sie werden sie töten, wo immer sie sie sehen“7, heißt es in Inzar. Der Bremer Verfassungsschutz geht dabei von rund 200 Hizbullah-Mitgliedern in Deutschland aus.

Schattenstrukturen in Deutschland


„Eine Anzahl von TH-Mitgliedern konnte sich ihrer Verhaftung im Jahre 2000 durch die Flucht nach Europa bzw. in die Nachbarstaaten der Türkei entziehen“, bestätigte nun die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der innenpolitischen Sprecherin der Bundestagsfraktion DIE LINKE, Ulla Jelpke im Februar 2011. „Nach dem Jahr 2000 baute die TH in verschiedenen europäischen Staaten (Deutschland, Österreich, Schweiz, Italien, Belgien, Niederlande und Frankreich) Personennetzwerke sowie Schattenstrukturen erneut auf.“8 US-Sicherheitsexperte Gareth Jenkins, Autor des Buches „Political Islam in Turkey“, warnte 2008 im Interview mit der Tageszeitung „Die Welt“: „Heute hat sich die Hisbollah sowohl militärisch als auch politisch neu organisiert, die Führung sitzt vermutlich in Deutschland und entzieht sich so dem Zugriff der türkischen Behörden. Die Hisbollah ist heute wieder die bei Weitem größte Untergrundorganisation in der Türkei.“9 Die Hizbullah habe sich nach ihrer Zerschlagung „vorwiegend von Deutschland aus neu konstituiert“10, meldete die Welt. Die türkische Tageszeitung Hürri­yet nannte unter Berufung auf die türkische Generaldirektion für Sicherheit neben Isa Altsoy die Namen der sechs weiteren Hizbullah-Führer Mehmet Tahir Çiçek, Mehmet Ali Doyar, Metin Tekgöçen, Kemal Kızar, Ali Demir und Nimet Bayka, die sich in Deutschland bzw. anderen europäischen Ländern aufhalten sollen.11 Einige von ihnen sollen inzwischen sogar die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen.
Ob die Informationen der Tageszeitung DIE WELT zutreffen, dass sich die Führung der TH in Deutschland aufhalte, wollte die Linksfraktion in ihrer Anfrage von der Bundesregierung wissen. Hier dementiert die Bundesregierung nicht, weicht aber ebenso wie bei Fragen zur Anzahl von Hizbullah-Mitgliedern in Deutschland, ihren Vereinsstrukturen und möglichen Kontakten zur Islamischen Gemeinschaft Milli Görüş einer offenen Antwort aus. Die Antworten seien Verschlusssache (VS) – „VS-Vertraulich“ bzw. „VS-Nur für den Dienstgebrauch“ –, wird auf die Geheimschutzstelle des Bundestages verwiesen, in die nur Bundestagsabgeordnete unter dem Siegel der Verschwiegenheit Einblick haben. Damit gibt die Regierung indirekt zu, dass die Hizbullah in Deutschland offensichtlich mit Wissen des Verfassungsschutzes agiert – und dies nicht erst seit gestern.
Bereits in den 90er Jahren bot sich die Bundesrepublik als Rückzugsland für Hizbullah-Aktivisten an, die nach ihren Morden in der Türkei aus der Schusslinie gebracht werden mussten. So setzte sich Şefik Polat, einer für eine Reihe von Morden unter anderem am Vorsitzenden des Menschenrechtsvereins von Êlih (Batman), Sıddık Tan, verantwortlicher Hizbullah-Führer aus Êlih (Batman), 1993 nach Deutschland ab. Polat wurde von Innenminister Ismet Sezgin als „die Schlüsselfigur“ für den Mord am Schriftsteller Uğur Mumcu bezeichnet. Mumcu, ein Mitarbeiter der Tageszeitung Cumhuriyet, hatte sich mit kritischen Themen wie Waffenschmuggel, Korruption, aber auch dem politischen Islam und der kurdischen Frage beschäftigt. Am 24. Januar 1993 wurde er in Ankara durch eine Bombe in seinem Auto getötet. Polat war zwei Tage nach der Ermordung Mumcus festgenommen worden. Doch schon nach zwei Tagen Haft kam der Hizbullah-Mann frei. Er wurde nach Deutschland gebracht, wo er politisches Asyl beantragte. Zur Täuschung der Asylrichter erklärte er, er halte den Kampf der PKK für legitim. Der Mord an Mumcu kam in der Anhörung ebenso wenig zur Sprache wie der Mord an Sıddık Tan. „Die türkische Konterguerilla benutzte die Hizbullah auch, um ihr einige andere Morde, die sie unmittelbar selbst begangen hatte, in die Schuhe zu schieben, um die eigene Verantwortung zu vertuschen. Und in dem Fall des Mordes an Mumcu, der für die türkische Öffentlichkeit äußerst wichtig war, wurde trotz der bekanntlich sonst so engen polizeilichen Zusammenarbeit zwischen der Türkei und Deutschland nicht im geringsten gegen Polat vorgegangen, obwohl sein Aufenthaltsort bekannt war“, schreibt Konterguerilla-Experte Selahattin Çelik und fügt hinzu: „Şefik Polat ist keine Ausnahme. Seit 1993 wurden noch viele andere Hizbullah-Kader, die in Morde verwickelt waren, in westeuropäische Länder, insbesondere die Bundesrepublik, geschickt.“12
Zurückgreifen konnten die Hizbullah-Führer nach ihrer Flucht aus der Türkei in Deutschland wohl nicht nur auf ihre bereits in den 90er Jahren hierher gelangten Kameraden, sondern auch auf die Strukturen der von kurdischen Migranten dominierten „Islami Hareket“. Diese Gruppierung hatte sich 1989 vom später vom Bundesinnenministerium verbotenen Kalifatsstaat des Metin Kaplan abgespalten, weil sie sich stärker am Iran orientierte und eine offener gewaltorientierte Ausrichtung vertrat. Die Islami Hareket soll nach Informationen türkischer Journalisten Beziehungen zur türkischen Hizbullah unterhalten haben oder sogar deren „legaler Zweig“ in Europa gewesen sein. Dies hatte unter anderem Metin Dalman in einem Beitrag für das ZDF-Magazin Kennzeichen D unter Verweis auf die Aussagen des im Herbst 1993 nach Deutschland geflohenen Hizbullah-Aktivisten Şevik Polat behauptet.13 Eindeutige Belege für die Identität der offiziell im Jahr 2002 selbst aufgelösten Islami Hareket mit der TH gibt es nach Aussagen des Verfassungsschutzes NRW zwar nicht. Doch „da sich Ideologie und Zielsetzung von `Kalifatsstaat´ und `Türkischer Hizbullah´ nicht wesentlich unterscheiden und es auch schon vorher zu Wechseln einzelner Personen vom `Kalifatsstaat´ über die `Islami Hareket´ zur `Türkischen Hizbullah´ gekommen zu sein scheint, kann ein potentielles Rekrutierungsreservoir nicht ausgeschlossen werden“14, so der Geheimdienst in einer Einschätzung.
Heute unterhält die türkische Hizbullah in der Bundesrepublik nach Erkenntnissen der Bundesregierung mehrere Moscheevereine, darunter die Hamburger Vahdet Moschee, die auch Mitglied im „Schura Rat“ der islamischen Gemeinschaften ist. In den zur Hizbullah gehörenden Vereinen werden religiöse und politische Veranstaltungen durchgeführt und Spenden gesammelt, so etwa zu Gunsten von Erdbebenopfern in der Türkei.

„Beträchtliches Bedrohungspotential“


Nach Erkenntnissen der Bundesregierung verfügt die Hizbullah in der Türkei heute zwar nur über maximal 3 500 Mitglieder, doch über ihr breites Sympathisantennetzwerk könne sie wie etwa zum Geburtstag des Propheten Muhammad am 8. März 2009 in Amed (Diyarbakır) mehrere zehntausend Personen mobilisieren. Anfang Januar 2011 wurden unter dem Jubel von Tausenden Anhängern 18 hochrangige Hizbullah-Führer nach zehnjähriger Verfahrensverschleppung aus türkischer Haft entlassen. Als der Oberste Gerichtshof zwei Wochen später die erstinstanzlich im Jahr 2000 verhängten lebenslänglichen Haftstrafen wegen Mordes an 188 Menschen bestätigte, waren 16 der unter Meldeauflagen Entlassenen spurlos verschwunden. Die prokurdischen und kemalistischen Oppositionsparteien beschuldigten daher die islamisch-konservative AKP-Regierung, mit der TH zu kooperieren. Zu einer solchen Kooperation liegen der Bundesregierung nach eigenen Angaben keine Erkenntnisse vor.
Endziel der türkischen Hizbullah sei weiterhin die Errichtung eines islamischen Gottesstaates auf türkischem Staatsgebiet. „Im Rahmen ihrer derzeitigen Strategie verzichtet die TH dabei nach außen hin auf Gewalt und richtet sich stattdessen verstärkt an der sozioökonomischen Strategie der palästinensischen HAMAS aus“15, meint die Bundesregierung. „Die TH verfolgt das Ziel, sich innerhalb der türkischen Gesellschaft als einflussreiche Organisation zu etablieren, um sich auf diese Weise wieder mehr politische Unterstützung zu verschaffen und politische Präsenz zu zeigen.“16
Der letzte gewaltsame Übergriff in der Türkei, der der Hizbullah zugeordnet wird, fand laut Bundesregierung im Jahr 2001 statt. Um sich eine Basis zur Umgestaltung der Gesellschaftsordnung von innen her zu schaffen, verstärkt die Hizbullah ihre Bemühungen im sozialen Bereich sowie ihre Propagandaaktivitäten. „Nicht auszuschließen bleibt dabei, dass die TH zukünftig die Option der Gewaltanwendung wieder in Betracht zieht“, warnt die Bundesregierung. In einem solchen Fall ginge von der Organisation „ein beträchtliches Bedrohungspotential aus, da die TH auf aus der Haft entlassene `alte Aktivisten´ zurückgreifen kann und über straffe Organisationsstrukturen verfügt.“17

Deutsche Mitverantwortung


„Deutschland darf kein Hinterland für Konterguerilla-Mörder sein“, erklärte die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Ulla Jelpke, nach der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Linken. Doch während linke türkische und kurdische Organisationen in der Bundesrepublik mit Terrorparagraphen und dem PKK-Verbot verfolgt werden, erfreuen sich die ehemaligen Konterguerilla-Killer der Hizbullah offensichtlich des weitgehenden Wohlwollens der deutschen Sicherheitsbehörden. Unter den Augen des Verfassungsschutzes konnten sie sich in Moscheevereinen organisieren und von hier aus auch den Wiederaufbau der Organisation in Kurdistan leiten. In Verfassungsschutzberichten taucht die Organisation dabei nur in Ausnahmefällen auf, obwohl selbst die Bundesregierung von einem beträchtlichen Bedrohungspotential spricht. Verbote gegen Hizbullah-nahe Vereine oder die zum Teil offen antisemitische Presse der Organisation wurden bislang keine bekannt. Die deutsche Politik gegenüber der Hizbullah entspricht so der Politik der türkischen AKP-Regierung, die inhaftierten Hizbullah-Führer kurz vor ihrer endgültigen Verurteilung frei und unter den Augen der Polizei abtauchen zu lassen. Offensichtlich ist die Existenz einer reaktionären islamischen Bewegung als Gegengewicht zur kurdischen Befreiungsbewegung auch im Interesse der Bundesregierung. Deutschland trifft damit auch in diesem Punkt eine Mitverantwortung für die ungelöste kurdische Frage in der Türkei.

Fußnoten:
1 Tagesspiegel 25.1.2001.
2 Milliyet 12.3.2001.
3 NZZ 13.6.2006.
4 Bundestagsdrucksache 17/4963.
5 Verfassungsschutz NRW, Zwischenbericht September 2005, 40.
6 Verfassungsschutzbericht Bremen 2009, 63.
7 Inzar Februar 2009.
8 Bundestagsdrucksache 17/4963.
9 Welt 11.4.2008.
10 Welt 22.1.2010.
11 Hürriyet 9.1.2008
12 Selahattin Çelik: Die Todesmaschine – Türkische Konterguerilla, Köln 1999, 122f.
13 ZDF, Kennzeichen D, 26.11.1997.
14 Verfassungsschutz NRW, Zwischenbericht September 2005, 41.
15 Bundestagsdrucksache 17/4963.
16 Ebda.
17 Ebda.

 

Aus: Kurdistan Report Nr. 155 Mai/Juni 2011